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Die Herausgeberinnen im Interview: Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften
Das muslimische Kopftuch avancierte seit der Milleniumswende zum Symbol für ausschließende Diskussionen um Migration in europäischen Gesellschaften. Die Kontroversen um muslimische Körperverhüllungen kreisen um die Disziplinierung des weiblichen Körpers, aber auch um die Stigmatisierung von verhüllten Frauen als „Andere“.
Dieses Buch stellt das Kopftuch in den größeren Zusammenhang von geschlechtsspezifischen Körperbildern, Körpersymbolen und Bekleidungsvorschriften für Frauen in ganz unterschiedlichen Regionen der Welt.
Wir haben den Herausgeberinnen unsere Fragen zum Buch und Thema gestellt und entstanden ist ein lesenswertes E-Mail-Interview mit Einblicken zur Idee des Buches, Auswirkungen für Frauen in der heutigen Zeit sowie der Rolle des muslimischen Kopftuchs in den gesellschaftlichen Wertevorstellungen in Österreich sowie auf europäischer Ebene und vielem mehr.
Vorab ein paar Informationen zu den Herausgeberinnen selbst sowie ihrer Verbindung zum Thema:
Birgit Sauer, Dr. phil., ist Universitätsprofessorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Staats-, Demokratie und Institutionentheorien, vergleichende Gleichstellungspolitikforschung, Rechtspopulismus und Geschlecht sowie Affekte, Emotionen und Politik. Sie beschäftigt sich seit langem mit der Regulierung des Tragens muslimischer Körperverhüllung.
Ingrid Moritz ist Politologin und leitet die Frauenabteilung der Arbeiterkammer Wien. Ehrenamtlich engagiert sie sich als Obfrau des Vereins Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen.
Asiye Sel ist Soziologin und arbeitet als Referentin in der Arbeiterkammer Wien mit Schwerpunkten Arbeitsmarktpolitik für Frauen, Migrations-Diversitätspolitik, Antidiskriminierung und Gender.
Wie ist die Idee zum Buch entstanden?
Der Körper von Frauen ist schon immer Gegenstand öffentlich-politischer Disziplinierungsdebatten. Als das muslimische Kopftuch in den österreichischen Medien als wichtigstes frauenrelevantes Thema kommuniziert wurde, hat die Frauenabteilung der AK Wien beschlossen, eine Veranstaltung zum Kopftuchdiskurs zu gestalten. Dabei ging es nicht darum, eine Debatte zu FÜR oder GEGEN das Kopftuch zu führen, sondern aufzuzeigen, wie das Kopftuch für andere Ziele, wie z.B. die Ausgrenzung von MuslimInnen, instrumentalisiert wird. Zudem sollte gezeigt werden, wie bestehende sozioökonomische Schieflagen und Ungleichheiten dadurch nicht nur verleugnet, sondern durch den Fokus auf das Kopftuch zementiert oder gar erst hervorgebracht werden. Diesen Themen widmeten sich renommierte ExpertInnen verschiedener Disziplinen aus dem In- und Ausland, so auch Birgit Sauer, mit der die AK schon viele migrantinnenspezifische Themen behandelt hat.
Die Veranstaltung „Das Kopftuch als Projektionsfläche – ein kritischer Diskurs“ hat ein unerwartet großes und positives Echo erhalten – auch auf medialer Ebene. Das war Anlass für uns, den Bogen etwas breiter zu spannen und einen Sammelband zu Körperbildern, Körpersymbolen und Bekleidungsvorschriften herauszugeben. Im Rahmen eines internationalen „Call for Papers“ wurden ExpertInnen aus sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen sowie aus der Zivilgesellschaft eingeladen, Beiträge zu diesen Themenstellungen einzureichen.
Welche Schwerpunkte wurden mit den Beiträgen des Buches gesetzt und warum?
In diesem Sammelband finden sich Beiträge aus den verschiedensten Lebenswelten von Frauen: aus der Arbeitswelt, dem Recht, dem Sport, der Werbung und den Medien, vor allem in Österreich, aber auch in anderen europäischen Ländern. Die AutorInnen thematisieren, wie im politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Diskurs der weibliche Körper verhandelt, wie er wahrgenommen wird und wie über ihn verfügt wird. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln legen die Beiträge in diesem Buch dar, welche Auswirkungen diese Diskurse auf die wirtschaftliche Positionierung, auf die Arbeits(markt)situation von Frauen haben und zu welchen Formen von Ausschlüssen und Ausbeutung diese Zuschreibungen und Zurichtungen führen.
Der vorliegende Band verfolgt das wissenschaftliche Interesse, die Mechanismen des herrschaftlichen Zugriffs auf den Körper von Frauen zu analysieren und zu verstehen. Er verfolgt aber auch das politische Ziel, kritische Veränderungsprozesse anzustoßen, Wege weiblicher Selbstbestimmung aufzuzeigen.
Ein besonderes Detail sind die Bilder im Buch sowie die Cover-Illustration. Sie stammen von Schülerinnen der Modeschule Hetzendorf in den 1960er- und 1970er-Jahren. Interessant ist ihr Zugang zu verschiedensten Kopftüchern und Körperverhüllungen in Modezeichnungen. Die Entwürfe verweisen auf einen spielerischen und selbstbewussten Umgang mit Kopf- und Körperverhüllungen und auf die Handlungsmacht von Frauen, ihren Körper zu gestalten.
Auf welchen Ebenen kann man die Auswirkungen von Körperbildern, Körpersymbolen und Bekleidungsvorschriften für Frauen in der heutigen Zeit wahrnehmen?
Im Grunde wirken sich Bekleidungsvorschriften in allen gesellschaftlichen Bereichen aus: In der Arbeitswelt, dem Recht, dem Sport, der Werbung und den Medien wurde und wird der weibliche Körper normiert und diszipliniert.
Immer wieder beobachten wir, dass ArbeitgeberInnen Vorschriften über Bekleidung, Frisur, Barttracht oder Schmuck ihrer MitarbeiterInnen machen. Der eingeforderte Kleidungsstil hat häufig nichts mit Sicherheits-, Hygiene- oder Gesundheitsaspekten zu tun. Auch wenn diese Vorschriften beide Geschlechter betreffen, sind sie für Frauen oftmals schwerwiegender, nicht zuletzt, wenn sie eine sexualisierte Dimension haben. Einerseits sollen Frauen sich nicht zu „freizügig“ zeigen, andererseits wird der Körper von Frauen gerade in „anzüglicher Form“ präsentiert. Beispielsweise hat eine Wiener Konditorei im Herbst 2016 an ihre MitarbeiterInnen „Uniformen“ in Form von T-Shirts mit den Aufschriften „Zimtschnecke“ und „Punschkrapferl“ verteilt. Obwohl es in den sozialen Medien einen lauten Aufschrei gegen diese Form von „Sexismus“ gab, sah die Konditorei keinen Änderungsbedarf. Stattdessen wurden für die männlichen Kollegen T-Shirts mit der Aufschrift „Striezi“ und „Verlängerter“ bedruckt.
Arbeitskleidung, Dienstkleidung und damit einhergehend Bekleidungsvorschriften sind zwar üblich (medizinischer Bereich, in Handwerksbetrieben, im Handel oder in der Gastronomie), sie führen aber häufig zu Konflikten zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Im schlimmsten Fall schließen solche Vorschriften Frauen aus dem Arbeitsprozess aus, nämlich z. B. dann, wenn sie ihr Kopftuch nicht ablegen wollen oder können.
Erwähnt seien hier noch die sexistischen Kleidungsvorschriften für professionelle Sportlerinnen. Der Sport ist ein zentraler gesellschaftlicher Bereich, in dem hierarchische Zweigeschlechtlichkeit hergestellt und reproduziert wird. Leistungssportler erhalten beispielsweise viel mehr Aufmerksamkeit als Leistungssportlerinnen – und auch mehr Geld. Sexistische Kleidungsvorschriften sowie eine auf das Äußere der Athletinnen fokussierte mediale Berichterstattung machen Sportlerinnen zu Objekten eines „männlichen Blicks“.
Inwieweit greifen Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften in das Leben von Frauen ein? Wie wirkt sich das auf (Geschlechter-)Rollenbilder aus?
Die Vorgaben treffen nicht nur Frauen, sondern auch Männer, die den geschlechtsspezifischen Zuschreibungen nicht entsprechen. Am Beispiel eines Kraftfahrers bei einem städtischen Linienverkehrsunternehmen werden bestehende Geschlechterrollenbilder und -klischees sichtbar. Weil er ein rosafarbenes Haarband während der Dienstzeit trug, kündigte ihn der Arbeitgeber. Vor Gericht bestritt der Arbeitgeber die offensichtliche sexistische Diskriminierung und berief sich auf die Richtlinien zum Tragen einer Dienstuniform zwecks einheitlichen Erscheinungsbildes. Dazu passe ein rosafarbenes Haarband eines Mannes nicht. Der OGH hat schließlich dem Arbeitnehmer Recht gegeben, mit der Begründung, dass Fahrgäste wegen eines funktionellen, farblich aber auffallenden Haarbandes an der Professionalität und Seriosität eines im öffentlichen Verkehr tätigen Buslenkers nicht zweifeln würden.
Auch das Beispiel einer Genfer Schule zeigt, wie Bekleidungsvorschriften in das Leben von Frauen eingreifen. SchülerInnen, die sich nach Meinung der Schuldirektion unpassend kleiden, müssen ein „T-Shirt der Schande“ tragen – ein überlanges und unförmiges Kleidungsstück mit der Aufschrift „Ich bin angemessen gekleidet“. Als unpassend gelten zum Beispiel bauch- oder schulterfreie Kleidungsstücke, Röcke oder Shorts, bei denen die Oberschenkel zu sehen sind, oder Kleidung mit anstößigen oder obszönen Aufschriften. Insgesamt wurden zwei Jungen und zehn Mädchen zum Tragen des „T-Shirts der Schande“ verpflichtet. Die SchülerInnen protestierten und forderten die Aufhebung der erniedrigenden und zudem sexistischen Kleiderordnung.
Welchen Trend betreffend Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften kann man aus der Entwicklung der letzten Jahrzehnte wahrnehmen?
In den Medien gibt es seit einiger Zeit eine größere Vielfalt dargestellter Frauenkörper. Dies deutet in Richtung einer „Liberalisierung“ von Körpervorschriften hin, kann aber auch als eine weitere Kommerzialisierung der Vielfalt weiblicher Körper betrachtet werden. Schließlich sollen Produkte möglichst massenhaft an möglichst viele Frauen verkauft werden. Dies zeigt sich auch daran, dass Männer zunehmend als Objekte von Kosmetikprodukten „entdeckt“ wurden. Gleichzeitig wurden restriktive Kleidungsvorschriften nicht weniger – die Debatten um Verbote muslimischer Körperverhüllung zeigen dies; restriktive Vorschriften haben sich verschoben.
Welche Rolle nimmt, aus Ihrer Sicht, das muslimische Kopftuch in den gesellschaftlichen Wertevorstellungen ein, vor allem in Österreich bzw. in Europa?
Eindeutig nimmt das Kopftuch eine dominierende und polarisierende Rolle in den gesellschaftlichen Wertevorstellungen ein. Die Medienanalyse von MediaAffairs hat für Österreich deutlich gezeigt, dass die emotional geführte Kopftuch- und die sogenannte Burkadebatte immer wiederkehrt und viele andere wichtige Frauenthemen in den Schatten stellt. In den untersuchten österreichischen Massenmedien hat die Diskussion um ein Kopftuchverbot angesichts der aufgeheizten Debatte den weitaus größten Anteil in der frauenpolitischen Berichterstattung eingenommen. Das Verschleierungsthema ist zwar überrepräsentiert, aber Frauen, die verschleiert sind, bekommen selbst keine Stimme in der Berichterstattung. Sie werden als Objekte behandelt und nicht als aktiver Teil der Bevölkerung, die am Gesellschaftsleben teilhaben oder in der Berufswelt ihre Expertise einbringen kann.
Diese Art der Debatte erfüllt eine hochpolitische Funktion: Einerseits lenkt sie vom unabgeschlossenen Emanzipations- und Gleichstellungsprozess der Geschlechter in Österreich ab und rechtfertigt zugleich das Ende der Gleichstellungspolitik, weil „unsere“ Frauen bereits befreit seien. Damit wird auch die Verantwortung von Politik, die notwendigen Rahmenbedingungen für Gleichstellung herzustellen, aufgegeben. Andererseits wird durch die scharfe Trennlinie zwischen jenen, die dazugehören („uns“), und denen, die ausgeschlossen werden sollen (die vermeintlich „anderen“) Sozialabbaupolitik unterstützt.
Tatsächlich bestehende Benachteiligungen zwischen Männern und Frauen, wie etwa die ungleiche Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit, häusliche Gewalt gegen Frauen oder Sexismus im öffentlichen Raum, den Medien, geraten durch die polarisierende Debatte um die Körperverhüllung muslimischer Frauen zunehmend aus dem Blickfeld. Insgesamt wird der Rückschritt in der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen mit Problemen der Zuwanderung und Integration vermischt, sodass Gleichstellungsrückschritte in Österreich dethematisiert werden.
Welche Rolle oder auch Aufgabe kommt den Medien zu, wenn es um Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften für Frauen geht?
Werden österreichische Medien ihrer Meinung nach diesen Rollen/Aufgaben gerecht, oder kommt es auch hier zu Stigmatisierungen?
Gerade den Medien und der gesamten Kulturindustrie kommt eine wichtige Rolle zu, wenn es um die Darstellung und Repräsentationen von Frauen geht. Stereotype Konzepte von Frauen in der Kulturindustrie und der Werbung reproduzieren immer noch das traditionelle Bild der Mutter, verknüpft mit Natürlichkeit und Fürsorge. Oder Frauen werden entpersonalisiert als Objekte, als Projektionsflächen für männliche sexuelle Vorstellungen. Männer hingegen werden in der Werbung oder in Filmen mit Dominanz, Potenz, Heldenhaftigkeit und Technik in Verbindung gebracht. Während Frauen passiv repräsentiert werden, wie etwa bei der Arbeit, beim Sport oder in der Familie, werden Männer aktiv dargestellt. All das wirkt sich auf das Bewusstsein und Verhalten von Frauen und Männern aus und bestärkt traditionelle Zweigeschlechtlichkeit und hierarchische Vorstellungen über Männer und Frauen.
Bilder werden direkt und indirekt von KonsumentInnen aufgenommen und verankern sich in den Köpfen und Körpern von Menschen. Medien spielen eine bedeutende Rolle für die Meinungsbildung, sie nehmen eine wichtige Vorbildfunktion ein. Sie können Menschen aber auch ausgrenzen, wenn z. B. MigrantInnen nicht oder nur in Zusammenhang mit negativen Themen gebracht werden oder dicke bzw. dem Anschein nach nicht attraktive Menschen ins Lächerliche gezogen oder überhaupt unsichtbar gemacht werden. Sexistische Werbung unterliegt in Österreich keiner umfassenden gesetzlichen Regulierung.
Allerdings werden zunehmend auch diverse, nicht der traditionellen Schönheitsnorm entsprechende Körper in der Werbung gezeigt. Dies fordern insbesondere junge Konsumentinnen ein. Doch ist das gerade in der Werbung ambivalent zu bewerten, da neue Normbildungen und vor allem Kommerzialisierung von Diversität sichtbar werden. All diese von den Medien vermittelten Bilder– und es sind mehrheitlich Frauen – führen dazu, dass Frauen Kompetenzen und Fähigkeiten abgesprochen werden. Dies wiederum kann die Benachteiligung von Frauen, z. B. in der Arbeitswelt, verstärken.
Betreffen all diese Thematiken nur Frauen oder ist auch das männliche Geschlecht gewissen Körperbildern, Körpersymbolen oder auch Bekleidungsvorschriften ausgesetzt?
Die Zurichtung des Körpers betrifft überwiegend Frauen. Doch die Zuschreibung von Härte und Stärke hat auch Spuren der Verletzlichkeit in männlichen Köpfen und Körpern hinterlassen. Heute sind aber Konstruktionen von Männlichkeitsbildern, insbesondere im Kontext von Migration und Flucht, ebenso ausschließend und diskriminierend. Geflüchtete und/oder muslimische Männer werden oft undifferenziert als „patriarchale Macho-Männer“ diffamiert und so stigmatisiert und ausgegrenzt.
Für all diejenigen, die sich tiefergehender mit den Inhalten des Buches auseinandersezten möchten, haben wir hier eine kostenlose Leseprobe.
In Folge 16 von "Buchtipps & News" spricht Manfred Arthaber, Leiter der Fachbuchhandlung des ÖGB-Verlags, gemeinsam mit den Herausgeberinnen über Manfred ihre Neuerscheinung und über das Thema körperlicher Zuschreibungen und Bekleidungsvorschriften für Frauen. Das Video zum Nachschauen gibt es hier.
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