Giovanni Pico della Mirandola war gerade einmal 23 Jahre alt, als er seine Neunhundert Thesen im Jahr 1486 in Rom mit der Schlussbemerkung veröffentlichen ließ, dass er persönlich jedem Gelehrten, der zur Disputation über die Thesen nach Rom kommen wolle, die Reisekosten erstatten würde. Pico hatte sich damit ein Ziel von bisher nie dagewesenen Ausmaßen gesetzt: Mit allen Gelehrten des Abendlandes wollte er vor dem Papst über alle Lehrsätze der verschiedenen Völker und deren Denker disputieren, über die Kabbala und die zoroastrischen Weisheitslehren wie über die verschiedensten Thesen des Neuplatonismus, der mittelalterlichen Scholastik, der Orphik und der arabischen und chaldäischen Weisheit. Das Ziel war die Versöhnung aller im Abendland bis dahin bekannten Autoritäten und die Zusammenführung der philosophischen und theologischen Traditionen des 15. Jahrhunderts zu einer christlichen Weisheit. Pico stellte sich die Veranstaltung als einen gewaltigen Kongress vor, für den die Neunhundert Thesen die Diskussionsgrundlage bilden sollten. Während die ersten 400 Thesen eine Zusammenstellung konfligierender Lehrmeinungen darstellen, sind die zweiten 500 „Thesen gemäß der eigenen Ansicht“, also – schon das ein unerhörtes Novum – ganz eigene Positionen Picos, die von der gängigen Art des Philosophierens abweichen. Allein – der Papst ließ 13 der Thesen auf den Index setzen und den gesamten Text verbieten. Die Versammlung, von der Pico geträumt hatte, fand niemals statt. Die bereits gedruckten Exemplare wurden eingezogen und zum Teil verbrannt. Pico wurde, nachdem er Rom verlassen hatte, verhaftet und exkommuniziert.
Inhaltsverzeichnis
V
Einleitung. Von Nikolaus Egel
VII
1. Die Disputatio
VII
2. Die Rede "Über die Würde des Menschen"
XIII
3. Die "Neunhundert Thesen"
XIX
3.1 Veröffentlichung – Reaktionen – "Apologie"
XIX
3.2 Das Anliegen der 900 Thesen: ein Manifest der philosophia perennis
XXIII
3.3 Die Struktur der "Neunhundert Thesen"
XXX
4. Zu dieser Edition und Übersetzung
XLIV
GIOVANNI PICO DELLA MIRANDOLA: Neunhundert Thesen
1
Giovanni Pico della Mirandola, an den Leser
3
Fünfundvierzig Konklusionen gemäß Thomas.
7
Acht Konklusionen gemäß Franciscus [Mayronius]. 13
Zweiundzwanzig Konklusionen gemäß Johannes Duns Scotus.
15
Dreizehn Konklusionen gemäß Heinrich von Gent.
17
Elf Konklusionen gemäß Aegidius Romanus.
19
Einundvierzig Konklusionen gemäß Averroes.
23
Zwölf Konklusionen gemäß Avicenna.
29
Elf Konklusionen gemäß Alfarabi.
31
Vier Konklusionen gemäß Isaac von Narbonne.
33
Vier Konklusionen gemäß Abumaron dem Babylonier [Avenzoar].
35
Drei Konklusionen gemäß Moses dem Ägypter [Moses Maimonides].
35
Fünf Konklusionen gemäß Mohammed von Toledo.
37
Zwei Konklusionen gemäß dem Araber Avempace.
37
Vier Konklusionen gemäß Theophrast.
39
Drei Konklusionen gemäß Ammonius.
39
Neun Konklusionen gemäß Simplicius.
41
Acht Konklusionen gemäß Alexander von Aphrodisias.
43
Fünf Konklusionen gemäß Themistius.
45
Fünfzehn Konklusionen gemäß Plotin
45
Acht Konklusionen gemäß Adeland dem Araber [Adelard von Bath].
47
Zwölf Konklusionen gemäß Porphyrios.
49
Neun Konklusionen gemäß Iamblichos.
53
Fünfundfünzig Konklusionen gemäß Proklos.
55
Vierzehn Konlusionen gemäß der Mathematik des Pythagoras.
69
Sechs Konklusionen gemäß der Ansicht der chaldäischen Theologen.
71
Zehn Konklusionen gemäß der altehrwürdigen Lehre des Ägypters Hermes Trismegistos.
73
Siebenundvierzig
kabbalistische Konklusionen gemäß der geheimen Lehre der hebräischen
kabbalistischen Weisen, deren Andenken immer geehrt werden sollte.75
Siebzehn
paradoxe Konlusionen gemäß meiner eigenen Ansicht, die zuerst die
Aussprüche Aristoteles’ und Platons versöhnen, und daraufhin die
Aussprüche anderer gelehrter Männer, die sich sehr stark zu
widersprechen scheinen.
83
Achtzig
philosophische Konklusionen gemäß meiner eigenen Ansicht. Auch wenn sie
von der allgemein verbreiteten Philosophie abweichen, stehen sie doch
nicht sehr im Widerspruch zur allgemeinen Methode des Philosophierens.
87
Einundsiebzig paradoxe Konklusionen gemäß meiner eigenen Meinung, die neue Lehrsätze in die Philosophie einführen.
105
Einunddreißig
[neunundzwanzig]Konklusionen in der Theologie gemäß meiner eigenen
Ansicht, die von der allgemeinen Sprechweise der Theologen ziemlich
verschieden ist.
121
Zweiundsechzig
Konklusionen gemäß meiner eigenen Meinung über die Lehre Platons, von
denen hier wenige angeführt werden, weil meine erste paradoxe Konklusion
es auf sich nimmt, die ganze Lehre Platons zu diskutieren.
129
Konklusionen
gemäß meiner eigenen Ansicht über die Lehre von Abucaten Avenan, der
als Autor des Buchs von den Ursachen [liber de causis]bezeichnet wird.
145
Fünfundachtzig Konklusionen über Mathematik gemäß meiner eigenen
Ansicht.149
Fragen, auf die er durch Zahlen zu antworten verspricht.
151
Fünfzehn
Konklusionen gemäß meiner eigenen Ansicht über das Verstehen der
Aussprüche Zoroasters und seiner chaldäischen Erklärer.
159
Sechsundzwanzig magische Konklusionen gemäß meiner eigenen Ansicht.
163
Einunddreißig
Konklusionen gemäß meiner eigenen Ansicht über das Verstehen der
orphischen Hymnen gemäß der Magie, das heißt, gemäß der geheimen
Weisheit der göttlichen und natürlichen Dinge, die zuerst von mir in
ihnen gefunden worden ist.
169
Einundsiebzig
[zweiundsiebzig] kabbalistische Konklusionen gemäß meiner eigenen
Ansicht, die die christliche Religion äußerst stark bestätigen, indem
sie die eigenen Fundamenteder hebräischen Weisen benutzen.
175
ANHANG: Die 13 verurteilten Thesen sowie die Beurteilung der päpstlichen Kommission
199
Giovanni Pico della Mirandola wird 1463 als Sohn einer Adelsfamilie in Norditalien geboren. Bereits im Alter von 14 Jahren studiert Pico kanonisches Recht in Bologna, wendet sich aber ab 1478 der Philosophie an den Universitäten Padua und Ferrara zu. Er liest die Hauptwerke der aristotelischen, averoistischen, arabischen und jüdischen Tradition und steht knapp zehn Jahre später in Florenz im Zentrum des humanistischen Geisteslebens. Hier leitet Ficino unter Förderung der Medici eine „Platonische Akademie“, die sich neben philosophischen Gesprächen Übersetzungen platonischer Dialoge und hermetischer Schriften der Spätantike widmet. Pico selbst veröffentlicht 1486 900 Thesen zu theologischen und philosophischen Fragen, zu deren Diskussion er alle Gelehrten Europas nach Rom zusammenrufen wollte. Die Einleitung zu diesem gewaltigen Thesenkatalog, die posthum unter dem Titel Über die Würde des Menschen veröffentlicht wird, gilt als einer der berühmtesten Texte des italienischen Humanismus; in ihr betont Pico die Freiheit des Menschen und seine von Gott verliehene Fähigkeit, zur Schau der tiefsten Geheimnisse des Universums aufzusteigen. Papst Innozenz VIII. läßt jedoch 13 der Thesen Picos für häretisch erklären, worauf dieser nach Frankreich fliehen muß. Unter dem Schutz der Medici zurückgekehrt, verfaßt Pico einen Kommentar zur Schöpfungsgeschichte, der unter dem Namen Heptaplus posthum erscheint. Er gerät in seinen letzten Lebensjahren unter den Einfluß Savonarolas und stirbt, vermutlich vergiftet, im Jahre 1494 in Florenz.
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