Ist Migration grundsätzlich zu bejahen? Oder ist sie nicht vielmehr
ein wichtiger Bestandteil von Ausbeutungsstrukturen? Die Näherin in
einer bengalischen Bekleidungsfabrik erfüllt jedenfalls vergleichbare
Funktionen im weltweiten Konkurrenzkampf wie der aus Asien nach Europa
gekommene Migrant. Beide sind gezwungen, ihre Arbeitskraft extrem billig
auf den Markt zu werfen. Doch während sich die Öffentlichkeit darüber
einig ist, Weltmarktfabriken in Billiglohnländern zu kritisieren, umgibt
den Import billiger ArbeiterInnen in die Zentren der Weltwirtschaft ein
Mythos von Mobilität, die als fortschrittlich gilt. Das sozial,
regional und kulturell zerstörerische Potenzial der Migration in den
Herkunfts- und Zielländern gerät damit aus dem Blickfeld.
Hannes Hofbauer gibt einen historischen Überblick über die großen
Wanderungsbewegungen und ruft die Ursachen dafür in Erinnerung, die von
Umweltkatastrophen über Kriege bis zu Krisen reichen, von denen die
allermeisten menschlichen Eingriffen geschuldet sind. So zeichnen allein
von westlichen Allianzen geführte Kriege für Millionen entwurzelte
Menschen verantwortlich, die ebenso ihrer Lebensgrundlagen beraubt sind
wie jene, die von ihrem Land vertrieben werden. Diesen Verwerfungen ist
es geschuldet, dass ganze Generationen junger Menschen im globalen
Süden, aber auch im Osten Europas ihre persönliche Zukunft in der
Emigration sehen.
Mit der Massenmigration aus der Peripherie werden die Folgen der
weltweiten Ungleichheit nun auch in den europäischen Zentralräumen –
negativ – spürbar. Deregulierungen am Arbeits- und Wohnungsmarkt
erreichen neue Dimensionen. Eine politische Antwort darauf scheint nur
die Rechte zu haben, indem sie statt einer notwendigen Kritik an der
Migration die Migranten zu Sündenböcken macht.
Die Linke hingegen sträubt sich, den strukturell zerstörerischen
Charakter von Wanderungsbewegungen zu erkennen. Eine Kritik am Wesen der
Migration und ihren Triebkräften sowie eine klare Benennung ihrer Opfer
und Profiteure ist überfällig.
Hannes Hofbauer, geboren 1955 in Wien, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien und arbeitet als Publizist und Verleger. Im Promedia Verlag sind von ihm u.a. erschienen: „EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen“ (2008), „Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter“ (2014, 2. Auflage 2015) und „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“ (2016, 5. Auflage 2017).
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